„Wiebittewas, du gehst in die Kirche??“ Jedes Mal, wenn ich das begleitet von einem mehr oder weniger fassungslosen Blick gefragt wurde, fühlte ich mich genötigt, ganz schnell zu erklären: „Ja, aber ich bin im Chor. Und außerdem ist das die anglikanische Kirche.“

Die Kirche hat es vielleicht noch nicht kapiert, aber sie ist zumindest in Deutschland total aus der Mode.

Ich zumindest habe keinen Deutschen getroffen (für andere Länder kann ich nicht sprechen, weil ich davon keine Ahnung habe…), der in Religion noch irgendeinen Rückhalt suchen würde. Als ich nach einer Saison anglikanischer Gottesdienste mit einem texanischen Priester langsam wieder Gefallen daran fand, war es nicht der christliche Glaube, der mich wieder in die Kirche zog, sondern die großartige Musik, die wir im Chor sangen, der wunderbare Chorleiter, der einen absolut professionellen Probenstil hatte und alles aus uns rausholte, und der spontane Witz des amerikanischen Priesters, der es schaffte, die ganze Gemeinde zum Lachen zu bringen. Kurz: ich ging hin, weil es mir und den Leuten Spaß machte. Und, weil es dort guten Kaffee umsonst gab (Hallo, wenn das kein Grund ist…???)

Natürlich glauben die meisten von uns an irgendetwas. Die meisten sind „irgendwie spirituell“, und das ist gut so, denn „irgendwie spirituell“ zu sein bedeutet möglicherweise, dass man nicht einfach einen gewohnten Glauben übernommen hat, sondern zumindest ein- zweimal darüber nachgedacht hat, an was man glaubt. Aber haben wir darüber nachgedacht, warum wir keine Christen mehr sind? Und damit ist nicht gemeint, dass wir alle wieder brav keinen Sex vor der Ehe haben, nicht verhüten und homophob sein sollen, und all das andere traurige Zeug, das mit der katholischen Kirche mittlerweile assoziiert wird. Keiner will mit dieser Institution noch viel zu tun haben, und ich ehrlich gesagt auch nicht. Aber was ist mit dem christlichen Glauben an sich? Diese kluge Frage kam natürlich nicht einfach so, sondern von einem Video, über das ich letztens mehr oder weniger gestolpert bin: einem Mittschnitt eines Vortrages mit dem Titel „Rediscovering God“ von Dr. Rupert Sheldrake, Autor eines verhältnismäßig großen Teils der Bücher in meinem Regal. Ich lag auf meinem Bett mit meiner Tasse Kakao und der fetten, schwarzen Katze, mit der ich meistens mein Zimmer teile, und hörte mit geschlossenen Augen zu.

Offen gestanden habe ich noch keiner Predigt so aufmerksam und andächtig gelauscht, wie diesem Vortrag. Dr. Sheldrake ist (auch ansonsten) ein so großartiger, witziger und kluger Referent, dass ich ihm einfach Stunden über Stunden zuhören könnte, selbst, wenn er mir das Doppelbesteuerungsabkommen erklären würde. Zum einen fand ich es unheimlich interessant, dieses Thema von einem Wissenschaftler aufbereitet zu hören, die ja gemeinhin eher als die „Antichristen“ durchgehen, und zum anderen – befinden wir uns nicht eigentlich in einer Art Religionskrise?

Kurz und flapsig, und ohne jeglichen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit: Im 19. Jahrhundert echauffierte man sich über Charles Darwin, weil er es wagte, die Göttlichkeit der Schöpfung, beziehungsweise die Göttlichkeit des Menschen infrage zu stellen, in dem er den Lords und Ladies sehr zu deren Missfallen eröffnete, dass sie von Affen abstammen, und mit allen Tieren irgendwie verwandt sind. Ich glaube, es war Thomas Carlyle, der in einem Brief Darwins Werk ebenso satirisch wie abfällig kommentierte, sinngemäß mit dem Satz: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mein Großvater oder Urgroßvater eine Auster war. Darwin selbst war regelmäßiger Kirchgänger, aber wäre er es nicht gewesen, wäre das wohl in einem noch größeren Skandal ausgeartet. Ich könnte hier noch eine Menge über Darwin schreiben, weil ich ein erklärtes Darwin-Fangirl bin, und er für mich nach wie vor das Ideal eines Wissenschaftlers repräsentiert, so kontrovers das jetzt auch klingen mag. Was ich an Darwin über die Maßen schätze, ist seine unerbittliche Suche nach der Wahrheit, auch wenn es sich gegen das richtete, was man im viktorianischen England zu glauben hatte, und sein Stil, einem dieses Wissen mitzuteilen – ganz und gar undogmatisch und ohne Rechthaberei.

Rund 150 Jahre später tritt Richard Dawkins auf den Plan, erklärt uns alle für gotteswahnsinnig, predigt vom egoistischen Gen und hält sich für den neuen Charles Darwin. Nicht genug damit, dass seine Bücher im Museumsshop von Downe House stehen – meiner Amateurmeinung nach hat der Mensch nur eines mit Charles Darwin gemeinsam, und zwar die Initialien (Charles Robert Darwin – Clinton Richard Dawkins), und ansonsten dreht mir seine Arroganz und sein dogmatisches Auftreten regelmäßig den Magen um, weil ich finde, dass ein Wissenschaftler ohne Demut noch schlimmer ist, als ein überheblicher Priester.

Gleichzeitig aber findet man an jeder Ecke einen Eso-Laden, kann Engelseminare besuchen, wenn man denn will, und die „New Age“-Branche floriert. Ich glaube, wir sind uns einig, dass der Mensch als Privatperson nicht entweder materiell oder spirituell sein kann, sondern dass wir beides sind. Nur, dass die Gesellschaft mal das eine, mal das andere Extrem postuliert. Mal ist es die Kirche, und dann werden wir „heilig gesprochen“, wenn wir in Askese leben, Altruistisch sind, und uns vom Materialismus abwenden (Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass Bischöfe und Kardinale das auch machen…), dann wieder ist es die Wirtschaft, unter anderem als Geldgeber für die Wissenschaft, und wir haben das neueste iPhone, erklären Homöopathie für Schwachsinn, und rechtfertigen uns, wenn wir in die Kirche gehen (Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass Wirtschaftsbosse oder Schulmediziner nicht auch an etwas glauben…). Man mag behaupten, dass auch unsere Gesellschaft beides hat, und das stimmt auch, aber die Kluft zwischen denen, die entweder das eine, oder das andere sind, ist immer noch ziemlich groß. Wenn ich das vorsichtig behaupten darf – sogar größer, als in der Viktorianik, wenn auch die gesellschaftliche Ächtung nicht mehr ganz die Tragweite hat.

Jedes Mal, wenn ich über den transzendenten Charakter von Musik ins Schwärmen geriet, hieß es: „Ach, die ist einfach so…bisschen verspult.“ Die Frage „An was glaubst Du“ kommt spät, wenn man jemanden kennen lernt. Es ist sogar eine extrem intime Frage geworden. Und die Antwort ist meistens: „Ja, ich bin schon irgendwie spirituell.“ Aber es gibt nicht mehr „den Glauben“ im Sinne von einer Zusammenkunft von Menschen, die ähnliches Glauben. So wie die Gemeinde am Sonntag in der Kirche.

Mein utopischer „Lösungsansatz“ für diese „Krise“ wäre – hypothetisch gesprochen – eine Art Synthese. Ich glaube, was wirklich modern und fortschrittlich wäre, ist weder der Fokus auf der Spiritualität, noch der Fokus auf Materialismus, sondern die Pflege der Diskussion und des Austausches. Diskussion kommt, so las ich, von „Diskus“ – die Scheibe – etwas Rundes. Und rund hat etwas von stimmig, allumfassend, schön. Und genau das hat auch eine gesunde Diskussion – sie gibt jedem ernsthaften Teilnehmer eine Stimme, jede Meinung darf sein, nichts wird verdrängt, denn schließlich ist es ja da. Und wer etwas verdrängt, hat bereits anerkannt, dass es da ist, denn das ist die Voraussetzung für die Entscheidung, es zu verdrängen. Für eine Diskussion muss man Herz und Hirn einschalten, was für die allgemeine Weltgesundheit absolut wünschenswert wäre. Und Stolz und Rechthaberei hätten in einer „Runde“ keinen Platz, sondern eckten lediglich an. Aber so viel nur zu meiner bescheidenen Utopie…

Wie seht ihr das? An was glaubt ihr?

Den Vortrag „Rediscovering God“ von Dr. Rupert Sheldrake findet ihr hier:

(Ich empfehle dazu Bett, Kakao und fette Katze ;D)